Wo läuft bei Ihnen der Gorilla durchs Büro?

Kennen Sie das weltberühmte Video der Psychologen Christopher Chabris und Daniel Simons? Nein? Dann schauen Sie es sich kurz an und machen den Test: https://www.youtube.com/watch?v=vJG698U2Mvo

 

Die dargestellte Situation verdeutlich, dass wir in Konzentration auf unsere Aufgabe, Details und Veränderungen in unserem Umfeld nicht wahrnehmen. Das wäre nicht erwähnenswert. Jedoch schaffen wir es tatsächlich, einen Gorilla mitten im Bild zu übersehen und das ist bemerkenswert.

 

Psychologen erklären dieses Phänomen damit, dass wir gezielt das wahrnehmen, was zu unserer augenblicklichen Aufgabe, zu unseren Bedürfnissen, unserem Ziel gehört und was uns in dem Zusammenhang wichtig ist: Haben wir Hunger, denken wir verstärkt an Essen und an Restaurants. Fühlen wir uns kalt und steif, denken wir an Sonne, Sauna, Sport und Wohlbefinden. Sind wir müde, an Entspannung, Wärme, Atmosphäre, Genuss.

 

 

Auswirkungen auf Ihren Alltag

Je fokussierter und konzentrierter Sie auf die dringliche Erfüllung Ihrer Aufgabe sind, desto mehr laufen Sie Gefahr, Anzeichen für Veränderungen nicht wahrzunehmen. Das geschieht nicht nur mit Blick auf das Unternehmen, selbst in Ihrer unmittelbaren Umgebung, bei den eigenen Teammitgliedern entgehen Ihnen Details und Hinweise und das birgt große Gefahren. Es ist durchaus wünschenswert, konzentriert an der eigenen Aufgabenstellung zu arbeiten. Dennoch darf neben dem Fokus der Weitwinkel nicht ins Hintertreffen geraten, insbesondere bei Führungskräften und Leadern.

 

Beispiele dafür sind:

  • Woher kommt plötzlich der Zettel auf dem Tisch?

  • Kündigungen werden scheinbar überraschend eingereicht und werfen Sie mit Ihrer Planung aus der Bahn. Es mögen zarte oder auch deutliche Anzeichen da gewesen sein, dass ein:e wertvolle:r Mitarbeitende das Unternehmen verlassen will. Sie haben die Signale einfach nicht mitbekommen.

  • Scheinbar ganz unbemerkt taucht plötzlich ein bedrohlicher Mitbewerber des Unternehmens auf.

  • Ein:e Kolleg:in zieht plötzlich an Ihnen vorbei und besetzt die nächste Karrierestufe.

  • Der Hochzeitstag wird löblicherweise nicht vergessen und die Partnerin bekommt traditionell den immer gleichen Blumenstrauß, den sie vor 25 Jahren so sehr mochte. Dass sie diesen schon lange nicht mehr mag, ist Ihnen leider entgangen.

  • Zum Geburtstag des Partners wählen Sie das einstige Lieblingsrestaurant in Angedenken glücklicher Stunden dort und der Begeisterung für die Küche aus. Inzwischen mag er beides überhaupt nicht mehr. Sie haben es nicht mitbekommen und buchen jedes Jahr von neuem einen Tisch dort.

 

Diese Beispiele können beruflich wie privat schwerwiegende und unerwünschte Folgen haben.

 

Gern nutze ich die Analogie zum Spitzen-Fußball-Team: Jeder im Champions League Team ist ein Profi und hat seine persönlichen Erfolge. Mit einem Tunnelblick nur für sich selbst, nur auf die eigene Position, die eigenen Ziele, ohne das Team, das Spielfeld und die gegnerische Mannschaft im Blick zu behalten, wird eine Mannschaft nicht erfolgreich sein und schon gar nicht zu den Top-Mannschaften gehören können. Ein Ronaldo kann nicht allein Siege erspielen. Nur indem er seine Mitspieler im Blick hat und Veränderungen auf dem Spielfeld blitzschnell erfasst, kann er seine erfolgreichen Pässe spielen.

Auch Sie brauchen beides: den Fokus auf die eigenen Fähigkeiten und Ziele und den Blick auf das Zusammenspiel mit der Mannschaft.

 

 

Woher kommt dieses Gorilla-Phänomen?

Die sogenannte „Unaufmerksamkeitsblindheit“ entsteht durch die eingeschränkte Verarbeitungskapazität unseres Gehirns. Eine kniffelige und herausfordernde Aufgabe zwingt uns zur Konzentration und Fokussierung auf die zu erarbeitende Lösung. Das wird von uns erwartet. Jedoch wird darüber unser Blickfeld verengt.

Unser Gehirn ist auf Effizienz programmiert und legt im Speicher Dinge ab, die zur Routine geworden sind. Das ist zunächst einmal sehr sinnvoll. Wir brauchen Routine, sonst können wir mit der immer größer werdenden Reizüberflutung nicht zurechtkommen. Das Gehirn muss also selektieren, welche Informationen aktuell relevant sind und welche nicht. Es wählt je nach Reiz und Dringlichkeit aus. Die restlichen Reize werden zwar auch erfasst, allerdings nur unbewusst. Unsere Wahrnehmung wird stark von unserer Aufmerksamkeit und unserem Fokus beeinflusst.

 

Trafton Drew, Forscher einer Studie zur Unaufmerksamkeitsblindheit erklärt: „Wenn Sie mit einer anspruchsvollen Aufgabe beschäftigt sind, kann die Aufmerksamkeit darauf wie ein Satz Scheuklappen wirken und es ist möglich, dass vor unseren Augen Stimuli unerkannt vorübergehen“. Interessanterweise tritt dieses Phänomen selbst bei erfahrenen Beobachtern auf, wenn sie auf ihr Sachgebiet konzentriert sind – so eine Studie des Brigham and Women’s Hospital (BWH) in Boston, USA. Das heißt, es betrifft Jeden und Jede. Zudem hat man herausgefunden, dass „gerade weil etwas so offensichtlich ist, wird es leicht übersehen, nicht obwohl. Je deutlicher sich ein unerwarteter Reiz (etwa der schwarze Gorilla) vom Fokus der Konzentration (Ihre Aufgabe) unterscheidet, desto leichter entgeht er der Wahrnehmung. Da es uns alle betrifft, ist es irgendwie beruhigend, verhindert jedoch nicht mögliche Katastrophen.

 

 

 Wie schaffen Sie es also, Ihre Aufgabe erfolgreich zu erfüllen und den „Gorilla“ zu sehen? 

  • Nehmen Sie regelmäßig Abstand von Ihrer Fokussierung und dem Tagesgeschäft und setzen den Weitwinkel Ihrer Aufmerksamkeit ein. Werfen Sie den Blick auf das Sie umgebende System und nehmen Sie wahr. Am besten, Sie setzen sich dafür regelmäßige Termine im Kalender. Einmal die Woche ist weit besser als einmal im Monat. In der Zeit kann der Gorilla schon unbemerkt durchs Büro gelaufen sein.

 

  • Gehen Sie in die Selbstreflexion und hinterfragen Sie sich: Stimmt die Richtung noch? Habe ich alle im Blick? Gibt es Bedürfnisse vom Team? Ist meine Führung ausreichend? Muss ich etwas in meiner Führung justieren?

 

  • Vereinbaren Sie im Team Vorgehensweisen und Alarmsignale für den möglichen Gorilla, damit nicht nur Sie, sondern das gesamte Team alarmiert ist, bzw. jeder jeden in die Aufmerksamkeit bringen kann.

 

 

Fazit:

Das Phänomen der Unaufmerksamkeitsblindheit zeigt uns, dass Situationen, Menschen, Lebewesen ganz allgemein und Gegenstände nur wahrgenommen werden, wenn ihnen Aufmerksamkeit entgegengebracht wird.

 

Da unser Gehirn selektieren muss, denn unsere Aufmerksamkeit ist nicht unbegrenzt, wird sie dort gebündelt, wo sie aktuell am dringendsten gebraucht wird. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir andere wichtige Umstände in unserer Umgebung übersehen.

Im Umkehrschluss hat dies auch Gutes, denn es bedeutet, dass wir uns fokussieren und konzentrieren können.

 

Die diversen Studien zum Thema haben zur Schlussfolgerung, dass unsere Aufmerksamkeit unseren Fokus bestimmt und wir diesen zum aktuellen Zentrum unseres Seins machen. Dieser Fokus bestimmt, was wir sehen und was wir nicht sehen können. Damit werden Details außerhalb unserer Aufmerksamkeit ausgeblendet.

 

 

Das Experiment „Gorillas in der Mitte“ diente Simons und Chabris, um empirische Daten zu dem Konzept der „Unaufmerksamkeitsblindheit“ von Arien Mack und Irvin Brock erheben zu können.

 

Britta Balogh