Benehmt Euch!

Mehr Höflichkeit und gute Umgangsformen helfen auch der Berliner Geschäftswelt künftig weiter

Vor mehr als 30 Jahren traf ich in Berlin ein und bin geblieben. Im Gepäck hatte ich unter anderem eine Ausbildung in der Fünfsterne-Hotellerie der französischen Schweiz, einen Aufenthalt in Cambridge und einen im britisch geführten Hong Kong. Ich war also mit entsprechenden Umgangsformen ausgerüstet. Es gab zwei Erlebnisse, die mich nachhaltig in Berlin geprägt haben:

Das erste war eine Begegnung mit einem Busfahrer. Ich erkundigte mich beim Einstieg, ob er über den Olivaer Platz fahren würde. Antwort: „Wess ick nich ob ick drüberfahre“. Ich war verwirrt. Wieso wusste der Busfahrer nicht, welche Haltestellen er täglich anfährt? Nach einer Umformulierung meiner Frage bekam ich eine Antwort, die mich annehmen ließ, dass ich in den richtigen Bus eingestiegen war.

 Kurze Zeit später hatte ich das Vergnügen, mit Freunden die Deutsch Oper zu besuchen. In der Pause stellten wir uns ordentlich in die Schlange, um ein Getränk und Canapé zu ergattern. Wir rückten vor, aber nicht weit genug. Plötzlich rief hinter mir eine laute Stimme: „Das letzte Canapé ist meins!“ Ich war sprach- und ratlos.

 Wer in Berlin nicht lernt, schnell zu retournieren und sich zu behaupten, hat das Nachsehen. Zu meinem Entsetzen lernt ich zügig, was sich wiederum bei Besuchen in meinem Elternhaus und außerhalb Berlins als Nachteil erwies. Meine schnelle Zunge und knappen Antworten kamen nicht gut an. In mehr als 30 Jahren hat sich vieles verändert. Die Stadt wurde internationaler, mehrsprachig und freundlicher. Und dennoch ist den Berlinern ihr rauer Charme geblieben.

Was würde es für die Stadt bedeuten, wenn sich dieser ändern würde? Wo verliert Berlin diesbezüglich seinen Charakter und an welcher Stelle täte es unserer Stadt gut, etwas weicher, zuvorkommender, aufmerksamer, umsichtiger zu werden und hätte dies wirtschaftliche Auswirkungen? Wir werden keine Rheinländer, keine Badener und schon gar keine Österreicher. Dennoch versuche ich als Karrierechoach seit vielen Jahren in meinen Sitzungen und Seminaren den Menschen nahezubringen, dass ein bisschen mehr Freundlichkeit, Zugewandtheit und Aufmerksamkeit von Vorteil ist. Vorteilhaft für jeden Einzelnen, für die Gemeinschaft - aber auch in der Berliner Geschäftswelt. Das würde auch der Wirtschaft in der Hauptstadt in Zukunft guttun.  

Höflichkeit und Smalltalk können Wunder wirken.  Der Smalltalk ist ein Eisbrecher, schafft Atmosphäre und bereitet eine Ebene, auf der man verhandeln kann. Wir Deutschen sind ohnehin schon präzise und kurz, wollen auf den Punkt kommen, um einen schnellen Abschluss zu tätigen. Ohne Smalltalk kommen wir jedoch nicht in die Anwärmphase. Gerade bei neuen Verhandlungspartnern ist dies essenziell, denn wir sollten Atmosphäre schaffen und ein Gespür für unser Gegenüber bekommen, damit wir unsere Sprache entsprechend anpassen und die Person „abholen“ können.

 Als der chinesische Künstler und Dissident Ai Weiwei Ende 2019 Deutschland unerwartet verließ, gab er eine Reihe von Gründen an: Unhöflichkeit. Besonders Taxifahrer:innen seien unverschämt. Es sei nicht angenehm, von Kellner:innen, Verkäufer:innen und Polizit:innen angeblafft zu werden. Er fügte hinzu, falls es zur Beruhigung diene, sie täten es nicht nur ihm gegenüber, sondern generell mit allen Bürgern.  Sollten Konzerne und Wirtschaftsbosse uns ebenfalls den Rücken kehren, dann hätten wir nicht nur ein Image-, sondern auch ein Wirtschaftsproblem und das kann sich die Stadt nicht leisten.

Durch die Vielfalt unserer Gesellschaft, der Regierung, den Botschaften und den vielen Zugereisten wurde das Stadtbild mit der Zeit eleganter. Dagegen arbeitet jetzt das Homeoffice. Im Sommer 2021 durfte ich einen Eindruck der Kleidung bekommen, die nunmehr auf Veranstaltungen getragen wird. Sicherlich schildere ich nur einen Ausschnitt, der nicht über alle Branchen und Hierarchien hinweg gültig ist. Meine Beobachtungen waren die, dass der/die Gastgeber:in bis hin zu der überwiegenden Zahl der Gäste in Kleidung kamen, die darauf schließen ließ, dass Sie unmittelbar vom Sofa kamen oder gerade ihre Sportaktivitäten beendet hatten. Nur wenige erschienen angemessen gekleidet.

Angemessen für was und wen? In jedem Fall, um den Einladenden Respekt zu zollen. Angemessen für die Location, oftmals um den Anlass zu würdigen. Meine Betrachtungen und Gespräche lassen Rückschlüsse zu, dass diese Menschen sich in ähnlicher Weise ihren aktuellen und potentiellen Kunden präsentieren. Allerdings leben und arbeiten wir nicht in einer Blase, sondern global. Welches Bild geben wir bei internationalen Besuchern und Geschäftsleuten ab? Was wollen wir kommunizieren? Wer sich sicher auf dem Business Parkett bewegen kann, hat den Kopf frei für das anstehende Gespräch und die wichtige Verhandlung. Wer gut gekleidet erscheint, gilt per se als kompetent. Damit erlangen man einen Bonus, bevor es zum eigentlichen Thema kommt. Gutes Benehmen kann Karrieretüren öffnen. Hingegen wird man schnell abgeschrieben, wenn Erscheinungsbild und Auftreten mangelhaft sind - und das, bevor man überhaupt seine Kompetenzen darstellen konnte.

Ich habe die Vision, dass aus “Me first” mehr “You too” wird. Dazu gehört es, den eigenen Sprachgebrauch und das Erscheinungsbild sowie unsere Vorbildfunktion kritisch zu betrachten.

Ich habe die Vision, dass schon im frühen Alter Benehmen, Umgangsformen und Tischmanieren gelehrt werden, dass sich unser Berliner Herz und unsere Berliner Schnauze zu einem freundlichen und respektvollen Austausch öffnen.

 Meine Vision ist ein gut gekleidetes, aber nicht steifes Berlin, ein fröhliches, offenherziges und weniger ruppiges Berlin. Eine Gesellschaft, die bereit ist, auf sich zu schauen und an sich zu arbeiten, damit wir einen angenehmen Alltag in all seiner Vielfalt und Buntheit leben können. Damit bleiben wir nicht nur hipp und cool, sondern werden angesehen und erfolgreich.

 

Britta Balogh